Montag, 2. Juni 2008
Es war einmal ein Städter, der spazierte hinaus aufs Land
Ein besonderes Augenmerk in Lucius Burckhardts Spaziergangswissenschaft gilt dem Phänomen, dass Landschaft gerade durch den Gegensatz von Stadt und Land, durch die Spannung des Übergangs erst als solche erlebt wird. (Burckhardt, L.(2006): Warum ist Landschaft schön?,
z.B. Seite ) Dies war zumindest traditionell der Fall. Jener Gegensatz aber ist nun im „Kontinuum“ der „Metropole“ (Burckhardt, L.(2006): Warum ist Landschaft schön?, Seite 89 u.a.) verschwommen, die Stadt trägt immer mehr ländliche Züge und das Land verstädtert zusehends. Hierin besteht ein wahrnehmungstechnisches Problem. Wenn -wie Lucius Burckhardt analysiert- das Grün in der Stadt (nicht zuletzt in Form von Straßenbegleitgrün) bereits allgegenwärtig ist (Burckhardt, L.(2006): Warum ist Landschaft schön?, Seite 275), wie soll der Spaziergänger dann noch einzelne Grünflächen wahrnehmen?

Von solchen Gedankengängen angeleitet, haben wir versucht, den von Lucius Burckhardt immer wieder geschilderten „idealen“ bzw. „klassischen“ Spaziergang (in anderem Zusammenhang auch als „Ur-Spaziergang bezeichnet) mit dem Gang in unser Untersuchungsgebiet zu vergleichen.

„idealer“ bzw. „klassischer“ Spaziergang:
(Burckhardt, L.(2006): Warum ist Landschaft schön?, Seite 306)

„… - der Spaziergänger oder Reisende verlässt eine Stadt, durchquert ein landwirtschaftliches Gebiet, kommt in einen Wald, der Weg führt ihn über einen Hügel in ein Tal, an ein Gewässer, über eine Brücke …“ (Burckhardt, L.(2006): Warum ist Landschaft schön?, Seite 267)


Spaziergang zu unserem Untersuchungsgebiet:

Der Spaziergänger durchquert ein Tor (Ponttor), gelangt in eine Unterführung (darüber der Alleenring),



einige Schritte weiter richtet sich eine vierspurige Ausfallstraße (Roermonderstraße) stadtauswärts, der Spaziergänger folgt nicht dieser, sondern gelangt nach einigen kleinen Läden auf eine schmalere Straße (Rütscher Straße), östlich wird diese gesäumt von einer langen Häuserfront, westlich von einer ausgestreckten Grünfläche mit Weg und Spielplatz, weiter hinten ragen vier hohe Wohntürme empor,



schließlich führt der Weg entlang einer Fußballwiese mit Grillmöglichkeit, zu einigen Einfamilienhäusern, einem Neubau ("Wohnen am Fuße des Lousberges"),



nur wenige Schritte weiter erreicht der Spaziergänger einen Bauernhof, Äcker, Weiden und Koppeln, er kommt hinunter in ein Tal, an ein Gewässer, über eine Brücke, in ein Naturschutzgebiet, in einen anderen Stadtteil (Laurensberg)…



"Erkenntnisse" u.a.:

- Tatsächlich ist die Grenze zwischen Stadt und Land so weit aufgeweicht, dass ein scharfer Kontrast nicht mehr besteht. Bei seiner Ausdehnung hat sich der städtische Raum Teile des ländlichen einverleibt (Enklave).
- Nach Passieren der ausgedehnten Grünflächen (Rütscher Straße) wird das Erlebnis eines Übergangs deutlich entschärft.
- Durch die unmittelbare Nähe der vier Studentenwohntürme einerseits und eines Bauernhofs andererseits entsteht eine Art Strukturbruch. (Würde man beispielsweise die Verkehrsströme vor und hinter den Türmen messen, so könnte man dies anschaulich nachvollziehen.)
- Einige Elemente des klassischen Spaziergangs sind dennoch wieder erkennbar: die anschließenden landwirtschaftlichen Flächen, das Tal, die Gewässer usw. Schließlich wird das Naturschutzgebiet ein Stück wertvollen Landschaftserlebnisses wohl auch in Zukunft sichern.

Quelle:

Burckhardt,L. (2006): Warum ist Landschaft schön? Die Spaziergangswissenschaft. Herausgegeben von Markus Ritter und Martin Schmitz. Berlin

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Schöner Beitrag. Seine Qualität liegte insbesondere in der Verknüpfung von Wissenschaft und eigener Wahrnehmung und der Übertragung des Burckhardt'schen Ideals auf unser Gebiet.
Viele Grüße
Ulrich & Florian

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