Montag, 23. Juni 2008
Neuentdeckung des Altbekannten
Lucius Burckhardt, um ihn noch einmal zu bemühen, stellte einst die Frage „Was entdecken Entdecker?“ Ich möchte nicht wiederholen, zu welchen Ergebnissen er gekommen ist, denn das hat Nina uns ja sehr eindrücklich vermittelt.

Der Begriff „Entdeckung“ ließ mich jedoch an einen englischen Schriftsteller denken, der in völlig anderem Kontext hierzu reflektierte. Sein Name lautet Gilbert Keith Chesterton [manch einem vielleicht als Autor der Pater-Brown-Kriminalkurzgeschichten bekannt], das betreffende Werk heißt „Orthodoxie“ und es erschien im Jahre 1908.



Gilbert Keith Chesterton im Jahre 1914 [Bild: Wikipedia]

Gleich zu Anfang bekennt der Verfasser, es habe ihn oft gereizt, den Roman eines englischen Seefahrers zu schreiben, „der seinen Kurs ein wenig falsch berechnete“ [eigene Übersetzung aus dem Englischen], „sodaß er in England eine neue Insel der Südsee zu entdecken wähnte.“ [Chesterton, G. K. (1909): Orthodoxie. München]

Dabei ist er über diesen Irrtum nicht gerade empört, denn:

„Was wäre herrlicher, als sich zur Erforschung einer fremden Küste aufzumachen, um sie schließlich als die heimatliche wiederzuerkennen?“

Und schließlich, ganz philosophisch gefragt:

„… :wie könnten wir es fertig bringen, über die Welt erstaunt zu sein und zugleich uns heimisch in ihr zu fühlen?“

In diesem Sinne also: Vielleicht können Entdecker auch bereits Bekanntes entdecken, indem sie es unvoreingenommen betrachten, so wie ein Seefahrer, der eine fremde Insel erkundet.

(Übrigens: Die Zitate aus Orthodoxie, der Titel lässt es fast erahnen, sind dort vor allem metaphorisch zu verstehen, und das „Entdeckte“ meint bei Chesterton nicht so sehr die englische Insel, sondern vielmehr die christliche Religion. Aber es passt ja mindestens genau so gut zur Spaziergangsforschung.)


Quelle:

Chesterton, G. K. (1908): Orthodoxy. San Francisco
Chesterton, G. K. (1909): Orthodoxie. München

Abbildung:

http://de.wikipedia.org/wiki/Gilbert_Keith_Chesterton

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Damit umschreibt Gilbert Keith Chesterton das, was ein Ansinnen des Seminars ist: Einen "anderen" Kurs auf vermeintlich Bekanntes einzuschlagen, um im Alltäglichen und Vertrauten das Neue und Unbekannte zu entdecken und am Ende (vielleicht) über eine veränderte Wahrnehmung auch zu anderen Handlungsansätzen zu finden.
Viele Grüße
Ulrich

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