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Mittwoch, 16. Juli 2008
Gedanken zur Wahrnehmung von Landschaft - Abschlussstatement
1. Methoden der Bestandsbetrachtung, -aufnahme und -analyse:

Selbst wenn unsere Untersuchungsmethode es ursprünglich vorsah, das Gebiet in strenger Regelmäßigkeit zu besuchen, denken wir, dass sich auch trotz gewisser Abweichungen wichtige Ergebnisse ableiten ließen.
So waren wir zwar jede Woche (mindestens) einmal im Untersuchungsgebiet, das strikte Einhalten eines bestimmten Wochentages sowie einer bestimmten Uhrzeit (Leugnen wäre zwecklos) gelang uns allerdings nicht, da unsere Zeitpläne sich als wenig koordinierbar erwiesen.
Eine wirklich umfassende Analyse von Landschaft im zeitlichen Verlauf wäre ohnehin nur möglich, wenn sie sich über den Zeitraum eines ganzen Jahres erstrecken würde.

Die Methode des kontinuierlichen Beobachtens hat unsere Wahrnehmung gerade von zeitabhängigen Komponenten geschärft. Wir haben hierdurch Landschaft als sich wandelnde Größe begriffen und dabei Veränderungsprozesse ganz unterschiedlicher Gestalt und Geschwindigkeit ausgemacht.

Prinzipiell erscheint uns die Grundidee des Seminars, einen Landschaftsraum regelmäßig zu beobachten, sehr sinnvoll - gerade auch in Kombination mit dem Bloggen. Dies bietet Spielraum sowohl für ein additives [Vermittlung relativ unabhängig aneinander gereihter Informationen] als auch für ein konsekutives [Vermittlung zeitlich oder logisch aufeinander folgender Informationen] Vorgehen. Darüber hinaus wirkten die Spaziergänge (Themen „Wasser“ und „weiß“) als höchst willkommene Abwechslung sowie Bereicherung und die Betreuungen gaben das nötige Feedback.



2. Wahrnehmung von Landschaft:

Eines unserer wichtigsten Ziele bestand darin, Landschaft in ihrem zeitlichen Kontext zu untersuchen. In diesem Sinne wollten wir wissen, welche Änderungen sich wann und wo in der Landschaft vollziehen und wie diese sich auf unsere Wahrnehmung auswirken.

Drei Monate - Ein Tag

Um die Bedingung von Zeit innerhalb der Landschaft aufzuspüren, haben wir zwei Zeitspannen gegenübergestellt: Zum einen die gesamte Dauer des Seminars von April bis Juni und zum anderen den Verlauf eines Tages von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.

Folgende Resultate ließen sich hieraus extrahieren:

Wandel innerhalb einiger Monate:

Da wir in etwa wöchentlichen Abständen unser Gebiet aufsuchten, ließen sich zwischen verschiedenen Beobachtungszeitpunkten zuweilen erhebliche Veränderungen innerhalb der Landschaft erkennen. Diese betrafen hauptsächlich die Vegetation (Dichte und Vielfalt).
Besonders auffallend war hierbei eine Art Wachstumsschub im Monat Mai. Diese uns geradezu abrupt vorkommende Entwicklung ließ aus zuvor eher transparent erscheinenden Bäumen und Sträuchern etc. massive Raumelemente werden.
Daneben fand über den gesamten Beobachtungszeitraum ein ständiges Kommen und Gehen kleinerer Pflanzen statt. In vielfältigen Farben und Formen erschienen immer wieder neue Blüten an Bachufer und Wegesrand usw., die uns beim Vorbeigehen ins Auge sprangen. Das Gesamtbild beeinflussten diese jedoch vergleichsweise wenig.
Auch der Faktor Wetter (Temperatur, Niederschlag, Windverhältnisse etc.) spielt in diesem Untersuchungsraum eine entscheidende Rolle.
Daneben sind es Veränderungen durch den Menschen, wie z.B. das Mähen einer Wiese oder das Ernten eines Feldes.

Wandel innerhalb eines Tages:

Bei der Beobachtung landschaftlicher Veränderungen an einem einzigen Tag sind gänzlich andere Faktoren maßgebend. So schreitet das Wachstum von Pflanzen in einer für unser Auge zu geringen Geschwindigkeit voran, als dass wir es erkennen könnten.
Die Änderung der Lichtverhältnisse hingegen vollzieht sich in deutlich wahrnehmbarer Weise. Zum Zeitpunkt des Sonnenaufgangs scheint es nur Himmel und Erde zu geben, getrennt durch die scharfe Grenze des Horizonts [linear]. Sobald sich die Sonne über den Horizont erhebt, wirkt die Landschaft einen Moment lang wie aus hintereinander gestaffelten Ebenen [flächig]. Danach werfen -vorausgesetzt der Himmel ist recht unbewölkt- alle erhabenen Landschaftselemente ausgedehnte Schatten und kreieren eine stark körperhafte Wirkung [räumlich]. Zur Tagesmitte hin werden die Schatten immer kürzer. Die gesamte Entwicklung von Sonnenaufgang bis Mittag ereignet sich entsprechend von Mittag bis Sonnenuntergang in gespiegelter Weise.
Weitere Faktoren in dieser Zeitspanne sind ein möglicher Wechsel des Wetters über den Tag hinweg, die Frequentierung des Raums durch Mensch und Tier und eher nachrangig das Öffnen und Schließen von Blüten.



Natürliche und anthropogene Zeitmuster

Natürliche Erscheinungen/Elemente einerseits und anthropogene Erscheinungen/Elemente andererseits weisen hinsichtlich des Einflusses von Zeit ein völlig anderes Verhalten auf.
Während in der Natur Prozesse sich zumeist in zyklischen und kontinuierlichen Dimensionen vollziehen, sind bei den durch Menschen geschaffenen Gebilden eher abrupte Entwicklungen zu verzeichnen.

Nur einige Beispiele seien herausgegriffen, um dies zu verdeutlichen:

Eine in die Landschaft eingefügte Brücke bleibt nach ihrer Vollendung über sehr lange Zeit in etwa derselben Form bestehen. Der unter ihr hindurch fließende Bach allerdings ist in ständiger Bewegung; er führt mal mehr und mal weniger Wasser und zu keinem Zeitpunkt ist wohl die Zusammensetzung des Wassers gleich.

Der Bauernhof besteht in seiner jetzigen Gestalt schon viele Jahrzehnte; vielleicht wird mal ein Tor erneuert, die Fassade gestrichen oder auch ein neuer Stall angebaut. All diese Veränderungen jedoch erfolgen relativ sprunghaft.

Ganz anders die Vegetation: Bäume und Sträucher entwickeln im Frühling Blätter und zuweilen auch Blüten, im Herbst fallen diese herab, sodass im Winter nur das Astwerk bestehen bleibt. Dieser Zyklus wiederholt sich Jahr für Jahr. Daneben wachsen Bäume und Sträucher mit jedem Jahr, anfangs deutlich erkennbar, später nicht mehr so stark. Hierin zeigt sich Kontinuität.
Auch bei kleineren Pflanzen sind solche Regelmäßigkeiten zu erleben. In verschiedenen Perioden tauchen sie auf, entfalten Blüten und verschwinden dann wieder.

Einen Sonderfall stellt beispielsweise das Anbauen von Getreide auf einem Feld dar. Es überschneiden sich dabei natürliche und anthropogene Zeitmuster. Während das Aussähen und Ernten in abrupter Weise geschehen, wachsen die Pflanzen kontinuierlich.


Bedingt durch die feste Achse bzw. Umlaufbahn und beständige Umlaufgeschwindigkeit der Erde um sich selbst und um die Sonne gleicht sich der Wechsel von Lichtverhältnissen (kontinuierlich und zyklisch) Jahr für Jahr, abgesehen natürlich von Wetter bedingten Abweichungen.

Ein komplexes System bildet das Wetter. Zwar gibt es hier Grundbedingungen, die jährlich wiederkehren, dennoch gleicht das Wetter in keinem Jahr dem anderen und ist trotz erheblicher Bemühungen noch immer höchst unvorhersehbar.



Wahrnehmungsebenen: Mikro-, Meso-, Makrotop


Von Beginn an hatten wir bei unseren Beobachtungen zwischen allgemeinen [, damit meinten wir eher große bzw. entfernte] und besonderen [, damit meinten wir eher kleine bzw. nahe] Landschaftselementen differenziert. Nun haben wir eine Übersicht gefunden, die hier viel mehr Klarheit hineinbringt.




(aus: Wöbse, Hans Hermann (2002): Landschaftsästhetik, Seite 67)


Eines unserer Ziele war es, herauszufinden in welchem Umfang sich Veränderungen in einer Ebene auf die andere/n übertragen.

Hierbei ist uns folgendes aufgefallen:

Zuweilen sind uns am Bachufer oder am Wegesrand (Mesotop) Pflanzen ins Auge gesprungen, die in kräftigen Farben blühten (Mikrotop). Unmittelbar am jeweiligen Ort haben sie also eine gewaltige Wirkung entfaltet. In einiger Entfernung (Makroebene) jedoch war diese deutlich vermindert oder gar verschwunden.
Dieses Phänomen ist allgemein bekannt.

Auch ein umgekehrtes Phänomen konnten wir erfassen: Als Mitte Mai eine Art Wachstumsschub ansetzte, hatte dies eindrucksvolle Konsequenzen auf Meso- und Makrotop. Zuvor recht transparente Bäume und Sträucher bildeten nunmehr massive grüne Tunnel, Tore, Wände, Mauern, Fenster und dergleichen. In der Mikroebene stellten wir demgegenüber eine solch hohe Dichte fest, dass die einzelne Pflanze in diesem Wirrwarr von Vegetation kaum noch zu erkennen war.




(Angewandte) Spazierforschung und Promenadologie:

Wie manch andere konnten auch wir zunächst mit dem Begriff der Promenadologie wenig anfangen. Mir persönlich (Katharina) kam es gar übertrieben vor, aus einem relativ alltäglichen Habitus eine Wissenschaft zu begründen.
Dass indessen die Bewegung durch (städtischen oder ländlichen) Raum durchaus zu neuen Erkenntnissen führen kann, wollen wir nach diesem Seminar nicht mehr ernsthaft bestreiten.
Ob die Promenadologie allerdings eine Wissenschaft an sich darstellt oder ob sie nicht eher eine Methode innerhalb anderer Wissenschaften bilden sollte, sei hier dahingestellt.


Lucius Burckhardt sieht die Rolle der Spaziergangswissenschaft darin,
„Eindrücke zu sammeln und zu eindrücklichen Bilderketten aufzureihen, …“

(Burckhardt, Lucius (2006): Warum ist Landschaft schön?, Seite 265)

Und präzisiert:

„Wir verstehen den Spaziergang als eine Sequenz, eine Perlenkette, aufgrund derer eine integrative Leistung vollbracht wird: die Herstellung des typischen Landschaftsbildes.“

(Burckhardt, Lucius (2006): Warum ist Landschaft schön?, Seite 272)

Dieser Idee folgend sind wir wöchentlich durchs Untersuchungsgebiet gestreift und haben immer wieder Eindrücke gesammelt, die uns wesentlich für gerade diese Landschaft schienen.

Bemerkenswert dürfte hierbei sein, dass sich zunächst durchaus ein -wenn auch vages- Gesamtbild der Landschaft in unserem Kopf befand. Durch wiederholte Spaziergänge gelang es uns, dieses Bild bewusst in einzelne Komponenten zu zerlegen, um anschließend ein genaueres Gesamtbild zu erhalten.

In unserem Untersuchungsgebiet lassen sich vielfältige Landschaftselemente ausfindig machen, wobei wir diese unterschiedlich bewerten.

So empfinden wir die Äcker und die Weiden, den Bauernhof, der das Gesamtbild stark prägt, die Bäume und Sträucher (einzeln oder in Gruppe), die vielfältigen Blütenpflanzen an Wegesrand und Bachufer und den Bach mit Brücke als angenehm.
Der Lousberg im Hintergrund verleiht dem Landschaftsbild einen besonderen Reiz.

Als störend hingegen empfinden wir die angrenzende Schnellstraße, die wenig charmante Unterführung, die Strommasten- und leitungen und den mitten in die Landschaft geworfenen Müll (Coladosen, Bierdeckel und anderes Verpackungsmaterial).
Die Hochhäuser in der Ferne (Stadtteil Laurensberg) wirken eher nachteilig auf das Gesamtbild.

Dies alles fügt sich in unserem Geist zum übergeordneten Charakter des Wildbachtals, wobei aus der Summe divergierender Eindrücke hier ein durchaus positives Bild resultiert.

Nach Humboldt gilt:

„Landschaft ist der Totalcharakter einer Erdgegend“

(Alexander von Humboldt?, zitiert in: Wöbse, Hans Hermann (2002): Landschaftsästhetik, )

Selbst wenn man alle Pflanzen, Lebewesen und alle von Menschen gebauten Dinge genauestens kartografieren würde (abgesehen von dem Schwindel erregenden Aufwand),
so würde man das Wesen einer Landschaft nicht erfassen. Wie der Begriff des Charakters in oben zitierter Definition suggeriert, spielen hier auch geistig-seelische Bedingungen mit ein.
(Dies wurde während des Seminars mehrfach deutlich, wenn es etwa darum ging, dass Gebiet abwechselnd mit guter und schlechter Laune aufzusuchen oder die Sichtweisen anderer zu erfragen.)

abschluss-pdf (pdf, 200 KB)

Quellen:

Burckhardt, Lucius (2006): Warum ist Landschaft schön? Die Spaziergangswissenschaft. Herausgegeben von Markus Ritter und Martin Schmitz. Berlin

Wöbse, Hans Hermann (2002): Landschaftsästhetik. Stuttgart

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