Mittwoch, 16. Juli 2008
Was waren die wichtigsten Erkenntnisse, die du in dieser Veranstaltung gewonnen hast?
nina_n, 01:55h
Wahrnehmung setzt sich aus vielen Faktoren zusammen
Wahrnehmung ist beeinflussbar
Wahrnehmung ist subjektiv
Im Hinblick auf Wahrnehmung habe ich dieses Semester eine ganze Reihe neuer Erkenntnisse gewonnen, was insofern nicht weiter überraschend ist, als ich mich bislang kaum mit diesem Thema beschäftigt hatte. Dies wiederum ist schon erstaunlich, da sich in meinem Studiengang Architektur sehr viel um Ästhetik dreht und es daher angebracht wäre, dass man sich im Rahmen von Pflichtveranstaltungen mit Wahrnehmung bezüglich der Frage beschäftigt, wann ein Raum oder Ort als angemessen und schön erlebt wird.
Es ist mir natürlich bewusst, dass das Architekturstudium schon jetzt sehr lang ist und es zahlreiche Themen gibt, mit denen sich ein Architekt auseinanderzusetzen hat, aber ich habe das Gefühl, dass das Bewusstsein über die Aspekte der Wahrnehmung mir beim Entwerfen einige Anstöße hätte liefern können. Eigentlich muss fundiertes Wissen über Wahrnehmung und deren Beeinflussung sogar die Grundlage jeder Planung sein, die Aufenthaltsräume schafft.
Zum Thema „Was ist schön?“ habe ich in meinem bisherigen Studium schon einige Anregungen bekommen, wie zum Beispiel den Goldenen Schnitt, mit dessen Hilfe man auf mathematische Weise ‚schöne’ Proportionen entwickeln kann. Die Studien über dieses Thema sind faszinierend, da der Goldene Schnitt überall in der Natur zu entdecken ist und auch der menschliche Körper nach diesem Prinzip aufgebaut ist (Verhältnis Länge des Oberschenkels zur Länge des Unterschenkels, Verhältnis des Oberkörpers bis zum Bauchnabel zum Unterkörper ab dem Bauchnabel etc.). Aus diesem Grund beschäftigen sich die Menschen schon seit der Antike mit diesem Thema, aber gute Proportionen allein machen keinen schönen Ort aus.
Laut Wikipedia nehmen wir 89% der Sinneseindrücke über das Sehen wahr, 9% über das Fühlen, 0,9% jeweils über das Hören und Riechen und nur 0,01% über das Schmecken. Da wir also gewohnt sind, den größten Teil unserer Sinneseindrücke über das Auge aufzunehmen, haben Proportionen eine große Bedeutung. Aber wichtig für einen Raum ist vor allem die Atmosphäre, die er erzeugt und woraus sich diese zusammensetzt, ist mir leider nicht vollständig klar. Spontan fallen mir Materialien/Oberflächen, Formen, Farben, Licht und Akustik ein, aber gibt es da nicht noch mehr?
Und wo lerne ich, welche Atmosphäre ich mit bestimmten Kombinationen von Formen und Farben erzeuge? Man kann natürlich die Farbenlehre studieren, aber ich habe das Gefühl, solche Mittel einzusetzen erfordert Übung (wie das Zeichnen) und die bekommt man im Studium meines Erachtens nicht.
Daher setzt man die oben genannten Mittel nach Gefühl ein und wenn es bei einem Entwurf gelingt, eine angemessene Atmosphäre zu erzeugen und darzustellen, weiß man zumeist nicht, wodurch man das bewirkt hat.
Wahrscheinlich sind das Fragestellungen, mit denen man sich in der Ausbildung zum Innenarchitekten beschäftigt. Aber ist es nicht genauso wichtig, Atmosphären im Stadtraum zu schaffen?
Natürlich ist es in diesem Zusammenhang hilfreich, sich gute, gebaute Architektur anzusehen. Aber um sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, warum mir das eine Gebäude gefällt und das andere nicht, bräuchte man erstens eine Menge Geld, denn man müsste einige Reisen unternehmen, zweitens viel Zeit, die man in den Semesterferien nicht wirklich hat, und drittens einen größeren Ansporn, als das persönliche Interesse.
Über Wahrnehmung habe ich vor allem gelernt, dass es keine objektive Wahrnehmung geben kann, auch wenn ich das vorher unbewusst angenommen hatte. Bislang habe ich gedacht, es gäbe allgemeingültige Regeln, die bestimmen, was schön oder hässlich ist, wobei Ausnahmen die Regel bestätigen. Diese Regeln wären im Unterbewusstsein eines jeden verankert und bei jedem Menschen im Grunde gleich.
Durch das Seminar ist mir klar geworden, dass man solche Dinge viel differenzierter betrachten muss.
Wahrnehmung ist maßgeblich abhängig vom Betrachter, von seiner Herkunft, seinen Erfahrungen, seinen (Seh-) Gewohnheiten, seiner Perspektive, seiner emotionalen Verfassung, der Geschwindigkeit, mit der er sich bewegt (den Schuhen, die er trägt - siehe ‚Düfte und Klänge’) und sicher von vielen anderen Faktoren mehr.
Kann man also über Wahrnehmung streiten?
Ich würde sagen: nein, das kann man nicht.
Denn wenn Wahrnehmung subjektiv ist, kann kein Gegenstand oder Ort absolut schön sein. Schönheit entsteht erst dadurch, dass jemand den Gegenstand wahrnimmt und als schön bewertet.
Und wenn Schönheit nichts Absolutes ist, was den Gegenständen, die wir betrachten, innewohnt, sondern erst dadurch entsteht, dass wir etwas schön finden, wie kann man dann etwas entwerfen, das allen gefällt?
Ich glaube jetzt, das kann man gar nicht.
Das ist ein sehr befreiender Gedanke, denn wenn man nicht versucht, es allen recht zu machen (was im Endeffekt niemals funktioniert), kann und muss man sich auf die eigene Meinung konzentrieren. Um diese weiter zu entwickeln, habe ich mir vorgenommen, mich bei Bauwerken nicht mehr zu fragen, wofür sie berühmt sind und versuchen, das nachzuvollziehen, sondern mich selbst zu fragen, welche Aspekte mir gefallen und was meiner Meinung nach nicht gelungen ist. Dies ist natürlich insofern schwierig, weil man als Student vor den Werken so genannter ‚Star-Architekten’ automatisch großen Respekt hat, weil die sicherlich später in Architektur-Atlanten als prägend für den Stil der Zeit aufgelistet werden, von gebildeten Menschen hoch gelobt werden und soviel mehr Erfahrung haben, als man selbst. Trotzdem werde ich versuchen, mir vorzustellen, der Architekt wäre ein Student und ich der Professor, dessen Meinung zählt, und kritisch den Entwurf beurteilen.
Die Selbstversuche, die Wahrnehmung durch Ausblenden einzelner Sinneswahrnehmungen zu beeinflussen und zu schulen, fand ich sehr anschaulich. Mir war vorher nicht bewusst, wie sehr man sich auf seine Augen verlässt. Auch neu war mir, wie viele verschiedenartige Sinneseindrücke wir ständig automatisch zu einem Gesamteindruck zusammenfassen.
Schreiben hilft beim Denken
Da man während des Architekturstudiums kaum freie Texte zu formulieren hat, hatte ich schon fast vergessen, wie hilfreich es ist, seine Gedanken aufzuschreiben. Dadurch, dass man im Text seine Gedanken strukturieren muss, werden die Zusammenhänge für einen selbst klarer und man erlangt neue, eigene Erkenntnisse während des Schreibens und der Text entwickelt sich zum Teil in ungeahnte Richtungen.
Vielleicht wäre es eine gute Übung, wenn man beim Entwerfen seine Ideen wöchentlich auch schriftlich und nicht nur in Skizzen und Zeichnungen festhalten würde, da ansonsten viele gute Ansätze und Ideen, die man im Laufe des Entwurfsprozesses hat, verloren gehen, obwohl man eigentlich noch eine Menge damit hätte erreichen können.
Der Text, den man zur Endpräsentation in die Pläne einfügt, hat keine solche Funktion. Er wird schnell und achtlos formuliert, nachdem alles andere fertig ist. Daher wirkt er eher wie eine Schikane und nicht wie eine Hilfe.
Vielleicht kann man auch Praktiken, die beim Schreiben funktionieren, auf das Entwerfen übertragen. In der Schule habe ich gelernt, meine Klausur komplett zu schreiben, das Heft zuzuschlagen und aus dem Fenster zu gucken, an etwas anderes zu denken. Dann den Text noch einmal kritisch von vorne bis hinten zu lesen und alles Überflüssige zu streichen. Das müsste beim Entwerfen doch auch hilfreich sein, einfach alles zu streichen, was nicht dringend notwendig ist. Andererseits machen kleine Anekdoten manche Texte erst lesenswert, was ist dazu die architektonische Entsprechung?
Was ich zusätzlich erkannt habe, ist, wie befriedigend es ist, Fragen zu beantworten und diese Antwort so stehen lassen zu können. Beim Entwerfen steht hinter jeder Antwort, die man zur Entwurfsaufgabe gibt, ein Fragezeichen (sonst müsste man ja nicht zur Betreuung gehen) und man kann regelmäßig alles verwerfen und von vorn anfangen. Das ist natürlich nervenaufreibend, da man nie die Gewissheit hat, etwas geleistet zu haben, weil die Arbeit im nächsten Moment wertlos sein könnte. Und wenn man eine Frage endlich beantwortet hat, wirft sie eine ganze Reihe neuer Fragen auf, wie zum Beispiel „Wie sieht die Fassade aus?“ - „Warum sieht sie so aus?“ - „Wie könnte sie noch aussehen?“ - „Welche Materialien eignen sich für diese Form der Fassade?“ - „Wie interagieren diese Materialien mit der Umgebungsbebauung?“.
Das ergibt eine scheinbar endlose Reihe von Fragestellungen, die zu beantworten immer komplexe Überlegungen erfordert und man kann niemals alle Fragen bis zum Ende durchdenken, da man ständig unter Zeitdruck steht. Ich für meinen Teil gehe immer zu Kolloquien mit dem Bewusstsein, dass es noch viele Fragen gibt, die ich mit meinem Entwurf nicht beantwortet habe und warte gespannt, welche dieser Fragen mir der Professor stellen wird.
Nebenerkenntnisse
Neben diesen Erkenntnissen habe ich auch andere Dinge gelernt, die mir ebenfalls wichtig erscheinen und eines Tages nützlich sein können. Hierzu gehört zum Beispiel,
- dass sich eine Gegend aus vielen kleinen Orten zusammensetzt, deren Charaktere vollkommen unterschiedlich sein können, obwohl sie zunächst als Einheit erscheinen,
- dass es meist wesentlich mehr Nutzer eines Ortes gibt, als man im ersten Moment annimmt,
- dass der Charakter eines Ortes in großem Maße von seiner Geschichte und seiner Nutzung bestimmt wird,
- dass große Grünflächen in Stadtnähe besonders wertvoll sind und die verschiedenen Nutzungen nicht selten in einem Interessenkonflikt aneinander geraten,
- dass Bauvorhaben aufgrund der Gefährdung von Kaltluftschneisen abgelehnt oder gefährdet sein können,
- dass man als Planer immer die Anwohner und momentanen Nutzer von zu beplanenden Flächen in die Planung miteinbeziehen sollte (Beispiele: Pferdelandpark/Weißer Weg, Tuchwerk und Obeliskenplatz),
- dass Promenadologie zwar im ersten Moment wie Unsinn klingt, aber eine wirklich interessante Wissenschaft ist (und Lucius Burckhardt ein lesenswerter Autor),
- dass selbst zu überlegen was Schönheit ausmacht und darüber zu diskutieren, gute Gespräche ergibt,
- dass die Kommunikation über einen virtuellen Blog zahlreiche Vorteile bringt, da man die Beiträge immer dann liest, wenn man Zeit und Lust hat und auch nur dann etwas schreibt, wenn einem etwas einfällt; außerdem guckt einen niemand komisch an, für das, was man sagt; man kann für Antworten so lange überlegen, wie man möchte; es ist möglich, seine Aussagen einfach zu löschen, wenn man sie zurücknehmen möchte und vor allem fällt einem niemand ins Wort.
Zum Abschluss möchte ich erwähnen, dass mir besonders gefallen hat, viel Zeit in angemessener Entfernung von meinem Schreibtisch zu verbringen. Ich würde es gut heißen, wenn Architekturstudenten mehr Seminare im Freien zu absolvieren hätten, dann würden sie nicht immer so blass und krank aussehen :-).
Wahrnehmung ist beeinflussbar
Wahrnehmung ist subjektiv
Im Hinblick auf Wahrnehmung habe ich dieses Semester eine ganze Reihe neuer Erkenntnisse gewonnen, was insofern nicht weiter überraschend ist, als ich mich bislang kaum mit diesem Thema beschäftigt hatte. Dies wiederum ist schon erstaunlich, da sich in meinem Studiengang Architektur sehr viel um Ästhetik dreht und es daher angebracht wäre, dass man sich im Rahmen von Pflichtveranstaltungen mit Wahrnehmung bezüglich der Frage beschäftigt, wann ein Raum oder Ort als angemessen und schön erlebt wird.
Es ist mir natürlich bewusst, dass das Architekturstudium schon jetzt sehr lang ist und es zahlreiche Themen gibt, mit denen sich ein Architekt auseinanderzusetzen hat, aber ich habe das Gefühl, dass das Bewusstsein über die Aspekte der Wahrnehmung mir beim Entwerfen einige Anstöße hätte liefern können. Eigentlich muss fundiertes Wissen über Wahrnehmung und deren Beeinflussung sogar die Grundlage jeder Planung sein, die Aufenthaltsräume schafft.
Zum Thema „Was ist schön?“ habe ich in meinem bisherigen Studium schon einige Anregungen bekommen, wie zum Beispiel den Goldenen Schnitt, mit dessen Hilfe man auf mathematische Weise ‚schöne’ Proportionen entwickeln kann. Die Studien über dieses Thema sind faszinierend, da der Goldene Schnitt überall in der Natur zu entdecken ist und auch der menschliche Körper nach diesem Prinzip aufgebaut ist (Verhältnis Länge des Oberschenkels zur Länge des Unterschenkels, Verhältnis des Oberkörpers bis zum Bauchnabel zum Unterkörper ab dem Bauchnabel etc.). Aus diesem Grund beschäftigen sich die Menschen schon seit der Antike mit diesem Thema, aber gute Proportionen allein machen keinen schönen Ort aus.
Laut Wikipedia nehmen wir 89% der Sinneseindrücke über das Sehen wahr, 9% über das Fühlen, 0,9% jeweils über das Hören und Riechen und nur 0,01% über das Schmecken. Da wir also gewohnt sind, den größten Teil unserer Sinneseindrücke über das Auge aufzunehmen, haben Proportionen eine große Bedeutung. Aber wichtig für einen Raum ist vor allem die Atmosphäre, die er erzeugt und woraus sich diese zusammensetzt, ist mir leider nicht vollständig klar. Spontan fallen mir Materialien/Oberflächen, Formen, Farben, Licht und Akustik ein, aber gibt es da nicht noch mehr?
Und wo lerne ich, welche Atmosphäre ich mit bestimmten Kombinationen von Formen und Farben erzeuge? Man kann natürlich die Farbenlehre studieren, aber ich habe das Gefühl, solche Mittel einzusetzen erfordert Übung (wie das Zeichnen) und die bekommt man im Studium meines Erachtens nicht.
Daher setzt man die oben genannten Mittel nach Gefühl ein und wenn es bei einem Entwurf gelingt, eine angemessene Atmosphäre zu erzeugen und darzustellen, weiß man zumeist nicht, wodurch man das bewirkt hat.
Wahrscheinlich sind das Fragestellungen, mit denen man sich in der Ausbildung zum Innenarchitekten beschäftigt. Aber ist es nicht genauso wichtig, Atmosphären im Stadtraum zu schaffen?
Natürlich ist es in diesem Zusammenhang hilfreich, sich gute, gebaute Architektur anzusehen. Aber um sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, warum mir das eine Gebäude gefällt und das andere nicht, bräuchte man erstens eine Menge Geld, denn man müsste einige Reisen unternehmen, zweitens viel Zeit, die man in den Semesterferien nicht wirklich hat, und drittens einen größeren Ansporn, als das persönliche Interesse.
Über Wahrnehmung habe ich vor allem gelernt, dass es keine objektive Wahrnehmung geben kann, auch wenn ich das vorher unbewusst angenommen hatte. Bislang habe ich gedacht, es gäbe allgemeingültige Regeln, die bestimmen, was schön oder hässlich ist, wobei Ausnahmen die Regel bestätigen. Diese Regeln wären im Unterbewusstsein eines jeden verankert und bei jedem Menschen im Grunde gleich.
Durch das Seminar ist mir klar geworden, dass man solche Dinge viel differenzierter betrachten muss.
Wahrnehmung ist maßgeblich abhängig vom Betrachter, von seiner Herkunft, seinen Erfahrungen, seinen (Seh-) Gewohnheiten, seiner Perspektive, seiner emotionalen Verfassung, der Geschwindigkeit, mit der er sich bewegt (den Schuhen, die er trägt - siehe ‚Düfte und Klänge’) und sicher von vielen anderen Faktoren mehr.
Kann man also über Wahrnehmung streiten?
Ich würde sagen: nein, das kann man nicht.
Denn wenn Wahrnehmung subjektiv ist, kann kein Gegenstand oder Ort absolut schön sein. Schönheit entsteht erst dadurch, dass jemand den Gegenstand wahrnimmt und als schön bewertet.
Und wenn Schönheit nichts Absolutes ist, was den Gegenständen, die wir betrachten, innewohnt, sondern erst dadurch entsteht, dass wir etwas schön finden, wie kann man dann etwas entwerfen, das allen gefällt?
Ich glaube jetzt, das kann man gar nicht.
Das ist ein sehr befreiender Gedanke, denn wenn man nicht versucht, es allen recht zu machen (was im Endeffekt niemals funktioniert), kann und muss man sich auf die eigene Meinung konzentrieren. Um diese weiter zu entwickeln, habe ich mir vorgenommen, mich bei Bauwerken nicht mehr zu fragen, wofür sie berühmt sind und versuchen, das nachzuvollziehen, sondern mich selbst zu fragen, welche Aspekte mir gefallen und was meiner Meinung nach nicht gelungen ist. Dies ist natürlich insofern schwierig, weil man als Student vor den Werken so genannter ‚Star-Architekten’ automatisch großen Respekt hat, weil die sicherlich später in Architektur-Atlanten als prägend für den Stil der Zeit aufgelistet werden, von gebildeten Menschen hoch gelobt werden und soviel mehr Erfahrung haben, als man selbst. Trotzdem werde ich versuchen, mir vorzustellen, der Architekt wäre ein Student und ich der Professor, dessen Meinung zählt, und kritisch den Entwurf beurteilen.
Die Selbstversuche, die Wahrnehmung durch Ausblenden einzelner Sinneswahrnehmungen zu beeinflussen und zu schulen, fand ich sehr anschaulich. Mir war vorher nicht bewusst, wie sehr man sich auf seine Augen verlässt. Auch neu war mir, wie viele verschiedenartige Sinneseindrücke wir ständig automatisch zu einem Gesamteindruck zusammenfassen.
Schreiben hilft beim Denken
Da man während des Architekturstudiums kaum freie Texte zu formulieren hat, hatte ich schon fast vergessen, wie hilfreich es ist, seine Gedanken aufzuschreiben. Dadurch, dass man im Text seine Gedanken strukturieren muss, werden die Zusammenhänge für einen selbst klarer und man erlangt neue, eigene Erkenntnisse während des Schreibens und der Text entwickelt sich zum Teil in ungeahnte Richtungen.
Vielleicht wäre es eine gute Übung, wenn man beim Entwerfen seine Ideen wöchentlich auch schriftlich und nicht nur in Skizzen und Zeichnungen festhalten würde, da ansonsten viele gute Ansätze und Ideen, die man im Laufe des Entwurfsprozesses hat, verloren gehen, obwohl man eigentlich noch eine Menge damit hätte erreichen können.
Der Text, den man zur Endpräsentation in die Pläne einfügt, hat keine solche Funktion. Er wird schnell und achtlos formuliert, nachdem alles andere fertig ist. Daher wirkt er eher wie eine Schikane und nicht wie eine Hilfe.
Vielleicht kann man auch Praktiken, die beim Schreiben funktionieren, auf das Entwerfen übertragen. In der Schule habe ich gelernt, meine Klausur komplett zu schreiben, das Heft zuzuschlagen und aus dem Fenster zu gucken, an etwas anderes zu denken. Dann den Text noch einmal kritisch von vorne bis hinten zu lesen und alles Überflüssige zu streichen. Das müsste beim Entwerfen doch auch hilfreich sein, einfach alles zu streichen, was nicht dringend notwendig ist. Andererseits machen kleine Anekdoten manche Texte erst lesenswert, was ist dazu die architektonische Entsprechung?
Was ich zusätzlich erkannt habe, ist, wie befriedigend es ist, Fragen zu beantworten und diese Antwort so stehen lassen zu können. Beim Entwerfen steht hinter jeder Antwort, die man zur Entwurfsaufgabe gibt, ein Fragezeichen (sonst müsste man ja nicht zur Betreuung gehen) und man kann regelmäßig alles verwerfen und von vorn anfangen. Das ist natürlich nervenaufreibend, da man nie die Gewissheit hat, etwas geleistet zu haben, weil die Arbeit im nächsten Moment wertlos sein könnte. Und wenn man eine Frage endlich beantwortet hat, wirft sie eine ganze Reihe neuer Fragen auf, wie zum Beispiel „Wie sieht die Fassade aus?“ - „Warum sieht sie so aus?“ - „Wie könnte sie noch aussehen?“ - „Welche Materialien eignen sich für diese Form der Fassade?“ - „Wie interagieren diese Materialien mit der Umgebungsbebauung?“.
Das ergibt eine scheinbar endlose Reihe von Fragestellungen, die zu beantworten immer komplexe Überlegungen erfordert und man kann niemals alle Fragen bis zum Ende durchdenken, da man ständig unter Zeitdruck steht. Ich für meinen Teil gehe immer zu Kolloquien mit dem Bewusstsein, dass es noch viele Fragen gibt, die ich mit meinem Entwurf nicht beantwortet habe und warte gespannt, welche dieser Fragen mir der Professor stellen wird.
Nebenerkenntnisse
Neben diesen Erkenntnissen habe ich auch andere Dinge gelernt, die mir ebenfalls wichtig erscheinen und eines Tages nützlich sein können. Hierzu gehört zum Beispiel,
- dass sich eine Gegend aus vielen kleinen Orten zusammensetzt, deren Charaktere vollkommen unterschiedlich sein können, obwohl sie zunächst als Einheit erscheinen,
- dass es meist wesentlich mehr Nutzer eines Ortes gibt, als man im ersten Moment annimmt,
- dass der Charakter eines Ortes in großem Maße von seiner Geschichte und seiner Nutzung bestimmt wird,
- dass große Grünflächen in Stadtnähe besonders wertvoll sind und die verschiedenen Nutzungen nicht selten in einem Interessenkonflikt aneinander geraten,
- dass Bauvorhaben aufgrund der Gefährdung von Kaltluftschneisen abgelehnt oder gefährdet sein können,
- dass man als Planer immer die Anwohner und momentanen Nutzer von zu beplanenden Flächen in die Planung miteinbeziehen sollte (Beispiele: Pferdelandpark/Weißer Weg, Tuchwerk und Obeliskenplatz),
- dass Promenadologie zwar im ersten Moment wie Unsinn klingt, aber eine wirklich interessante Wissenschaft ist (und Lucius Burckhardt ein lesenswerter Autor),
- dass selbst zu überlegen was Schönheit ausmacht und darüber zu diskutieren, gute Gespräche ergibt,
- dass die Kommunikation über einen virtuellen Blog zahlreiche Vorteile bringt, da man die Beiträge immer dann liest, wenn man Zeit und Lust hat und auch nur dann etwas schreibt, wenn einem etwas einfällt; außerdem guckt einen niemand komisch an, für das, was man sagt; man kann für Antworten so lange überlegen, wie man möchte; es ist möglich, seine Aussagen einfach zu löschen, wenn man sie zurücknehmen möchte und vor allem fällt einem niemand ins Wort.
Zum Abschluss möchte ich erwähnen, dass mir besonders gefallen hat, viel Zeit in angemessener Entfernung von meinem Schreibtisch zu verbringen. Ich würde es gut heißen, wenn Architekturstudenten mehr Seminare im Freien zu absolvieren hätten, dann würden sie nicht immer so blass und krank aussehen :-).
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